Samstag, 10. Dezember 2011

Wachstumsschmerz

"Ein paar Tage nachdem du gegangen bist, hat es an unserer Wohnungstür geklingelt, und als ich sie öffnete, standen vier Piraten und zwei Mütter vor mir und brüllten mich an und fotografierten mein verheultes Gesicht. Und ich habe überhaupt nicht gewusst, was jetzt von mir erwartet wird. Und als ich endlich verstand, bekam ich Panik. Ich habe nie Süßes. Ich habe noch nicht einmal Obst oder Choco Pops oder so. Zum Glück ist mir dein geheimes Süßigkeiten-Depot eingefallen, und ich habe seinen gesamten Inhalt in die mir entgegengestreckten geschminkten Schlünde geworfen. Drei Tüten Gummibärchen und die Schokotaler. Alles weg. Später hatte ich ein schlechtes Gewissen. Zum einen hatte ich jetzt wirklich garnichtsmehr, um weitere geschminkte Kinder und ihre fotografierenden Mütter abzuwehren, zum anderen sollte ich nicht deine geheimen Vorräte weggeben.

Ich kennen niemanden, der eine solche Leidenschaft für Süßes hat wie du. Eigentlich ist es absurd, wie viel Dreck du in dich reinschaufeln kannst. Du liebst Zucker so sehr wie andere Menschen Welpen oder Diamanten. Immer wenn du mich wirklich gut leiden kannst, legst du mir Schokoriegel auf das Kopfkissen oder neben meine Zahnbürste oder in meine Schuhe. Und obwohl mir Süßkram eher egal ist, rührt es mich trotzdem jedes Mal sehr, weil ich weiß wie groß die Liebeserklärung ist, die du mir damit machst.
Du gibst dein Heiligstes an mich weiter. Und jetzt habe ich dein Heiligstes an Kinder mit Schnurrbärten weitergegeben."

- Sarah Kuttner, Wachstumsschmerz.


Ich bin mir immernoch hunderprozentig sicher, dass Sarah diese Zeilen über mich geschrieben hat.

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